TDFÖ-Salon: Männer gegen sexualisierte Gewalt & Gewalt im Namen der Ehre.
Im Gespräch mit Alili Kushtrim und Ruşen Timur Aksak
Bei unserem jüngsten TDFÖ-Salon am 19.5.2025 diskutierten wir mit zwei profilierten Stimmen aus migrantischen Kontexten, die sich mutig und öffentlich gegen patriarchale Gewaltstrukturen stellen – auch dann, wenn es unbequem wird:
Alili Kushtrim, Gruppenleiter und Social-Media Manager beim Projekt HEROES® und Integrationsbotschafter, sowie Ruşen Timur Aksak, Politikwissenschaftler, Journalist und Kolumnist (FALTER).

Rund 25 TeilnehmerInnen aus Politik, Ministerien, Schule, NGO’s, zivilgesellschaftlichen Organisationen und engagierten TDFÖ-Mitfrauen sorgten für eine lebhafte Diskussion und eine konstruktive Atmosphäre bei dieser nicht selten sehr emotional geführten Debatte.
HEROES® – Für Gleichberechtigung und gegen Unterdrückung im Namen der Ehre
Alili Kushtrim engagiert sich seit mehreren Jahren im ursprünglich aus Schweden und Berlin kommenden Projekt HEROES® Steiermark, das mit jungen Männern aus patriarchal geprägten migrantischen Milieus arbeitet. Ziel des Projekts ist es, einen geeigneten Rahmen zu schaffen, indem sie sich u.a. auf der Grundlage von Rollenspielen mit ehrkulturellen Normen, die Gewalt und Unterdrückung von Mädchen und Frauen legitimieren, kritisch auseinanderzusetzen. Nachdem sie die Ausbildung durchlaufen haben (öffentliche Zertifizierung als „HEROES“), gehen sie selbst in Schulen, um mit SchülerInnen das Thema ehrkulturelle Normen, Gewalt, Identität und Gleichberechtigung zu bearbeiten.
Sein eigener Weg zu HEROES® war alles andere als selbstverständlich, kommt er doch selbst aus einer Kultur, wo das patriarchale Ehrkonzept immer noch eine große Rolle spielt. Die Reaktionen aus dem familiären und sozialen Umfeld waren ambivalent – zwischen Bewunderung, Skepsis und offener Ablehnung.
Kritische Stimmen zum Projekt gab es immer wieder – sowohl aus der eigenen Community als auch von außen – sowohl in Deutschland, aber auch in Wien, wo es bereits 2015 einen Versuch gab, das Projekt zu etablieren: HEROES wurde teils als „rassistisch“ oder „stigmatisierend“ diffamiert – weil das Projekt eine bestimmte Form der patriarchalen Gewalt und seine Hintergründe klar benennt und betroffene, junge migrantische Männer dabei unterstützt, Verantwortung zu übernehmen und Zivilcourage zu zeigen.
Wirkung? Viele ehemalige Teilnehmer, wenngleich nicht alle, schlagen neue Wege ein, emanzipieren sich von ihren Eltern und engagieren sich sozial, beruflich und gesellschaftlich – statt sich in destruktive Männlichkeitsbilder zurückzuziehen.
Im Rahmen einer erweiterten Projektschiene unter dem Titel „NEXT HEROES – Starke Männer folgen uns!“ erreicht die Initiative mit Videos auf Instagram und TikTok eine wachsende junge Zielgruppe. Das Projekt vernetzt Poetry-SlammerInnen, Studierende und AktivistInnen und setzt ein digitales Gegennarrativ zu Radikalisierung, Gewalt und Männlichkeitskult.
Bitterer Wermutstropfen: Trotz nachweislicher Erfolge und großer österreichweiter Nachfrage nach den beliebten Schulworkshops – sie können aus finanziellen Gründen nur in der Steiermark durchgeführt werden – wurde HEROES® in Salzburg nach einigen Jahren gestoppt. In Wien wurde seine Umsetzung kurz vor der Realisierung verhindert.
Unser Appell: Projekte wie HEROES® müssen österreichweit etabliert werden – auch in Wien. Wir brauchen politische Unterstützung statt ideologischer Blockade. Das Zeitfenster scheint aufgrund der neuen Regierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS so gut wie noch nie: auf Seite 127 des Regierungsprogramms im Kapitel „Frauen und Gewaltschutz“ steht ganz klar „Die Männer- und Burschenarbeit im Bereich der ehrkulturellen Gewalt wird ausgebaut. Außerdem wird ein Fokus auf die Arbeit mit Mädchen und Frauen gelegt.“
Ruşen Timur Aksak – Zwischen Kritik, Identität und Haltung
Ruşen Timur Aksak, Kind türkischer Gastarbeiter – geboren und aufgewachsen in Tirol – beschreibt und kommentiert die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in einer wunderbar differenzierten Sprache, aber unerschrocken: „Unsere Einwanderungsgesellschaft braucht Ehrlichkeit und Furchtlosigkeit, wenn sie funktionieren soll. Ansonsten dient sie lediglich der FPÖ als Schreckgespenst für immer neue Wahlsiege.“ (BIBER, Mai 2025).
In einem seiner Beiträge auf rusentimuraksak.com unter dem Titel „Von muslimischen Machos und weißen Mädchen“ beschreibt er (auf Basis der Reflexion eigener Erfahrungen) die Zusammenhänge zwischen männlichen Frustrations- und Misserfolgserlebnissen, patriarchalem Ehrverständnis und der Abwertung von „autochthonen“ Mädchen und Frauen insbesondere in migrantischen Milieus. Seine These: Der „migrantische Minderwertigkeitskomplex“ kann zu Wut und Neid auf autochthone junge Menschen führen und zu kompensatorischer Gewalt gegen „westliche“ oder „unerreichbare“ Mädchen („weiße Mädchen“ als Projektionsfläche).
Aksak bleibt klar in seiner Haltung: universelle, gleiche Mädchen- und Frauenrechte statt Paternalismus und kultureller Relativierung. Auf Social Media sah er sich Angriffen von rechten und linken AktivistInnen sowie Migrantenorganisationen ausgesetzt.
In der anschließenden Diskussion benannten die TeilnehmerInnen mehrere Versäumnisse Integrations- und Migrationsdebatte:
- Ein verfehlter Toleranzbegriff, der Gewalt- und Unterdrückungsformen im Namen von Religion und Kultur bagatellisiert.
- Eine Doppelmoral, die aktuellen Rechtsentwicklungen (zurecht) entgegenwirkt, jedoch islamistische Identitätspolitik und Netzwerke negiert oder toleriert, weil letztlich wirtschaftliche Interessen vor den Rechten von Frauen stehen.
- Eine paternalistische Sichtweise, die MuslimInnen als unmündige Gruppe behandelt, statt als gleichwertige Subjekte – v.a. dann, wenn diese Unterdrückungsformen in der eigenen Religion und Kultur benennen
Danke & Ausblick
Deutlich wurde: Die Zeit bloßer Bewusstseinsbildung ist vorbei – es braucht konkretes Handeln, klare Haltung und wirksame Prävention.
TERRE DES FEMMES Österreich bleibt dran.
Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass Projekte wie HEROES® endlich die Anerkennung, Förderung und politische Rückendeckung erhalten, die sie verdienen.
Doch es braucht mehr: klare Regeln und wirksame Maßnahmen. Dazu zählen ein Kopftuchverbot für Minderjährige in öffentlichen Einrichtungen ebenso wie gesetzliche Rahmenbedingungen, die bei jugendlichen Straftätern auf Wertevermittlung, Verantwortungsübernahme und gewaltfreie Konfliktlösung setzen.
Bericht: Marlies Ettl
Fotos: Brigitte Körbler



