
Gewalt & Unterdrückung
im Namen der Ehre & Zwangsverheiratung
Was verstehen wir unter…
…Gewalt und Unterdrückung im Namen der Ehre?
Bei Gewalt im Namen der Ehre (Honour Based Violence/HBV) handelt es sich um Unterdrückungsformen bzw. Gewalt, die in kollektivistisch geprägten Gemeinschaften zur Erhaltung oder Wiederherstellung der vermeintlichen „Familienehre“ angewendet wird. HBV wird kulturell (Bräuche, Traditionen) oder auch religiös begründet. Mädchen und Frauen sind mittels strengen Verhaltensvorschriften und Regeln angehalten, sich „ehrenhaft“ zu verhalten. Männliche Familienmitglieder werden dabei oft in die Rolle des „Aufpassers“ gedrängt. HBV richtet sich letztlich gegen eine individuelle, selbstbestimmte Lebensführung von Frauen und gegen ihre (sexuelle) Selbstbestimmung. Die verschiedenen Gewaltformen reichen von emotionaler Erpressung und psychischem Druck (z.B. auch hinsichtlich Kleidung) bis hin zu physischer und sexualisierter Gewalt.
Dazu gehören im Extremfall Zwangsverheiratungen oder so genannte Ehrenmorde.
…Zwangsverheiratung?
Zwangsverheiratung liegen dann vor, wenn mindestens einer der Eheleute durch die Ausübung von Gewalt oder durch gefährliche Drohung (inkl. der Drohung mit dem Abbruch oder dem Entzug der familiären Kontakte) zum Eingehen einer formellen oder informellen Ehe oder eingetragenen Partnerschaft (durch religiöse oder soziale Zeremonie geschlossen) gezwungen wird. Eine mögliche Weigerung einer der Ehepartner hat entweder kein Gehör gefunden oder der/die Betroffene hat es nicht gewagt, sich zu widersetzen. Auch die Bedrohung der Betroffenen mit existentiellen finanziellen oder ausländerrechtlichen Konsequenzen kann zu einer Zwangsverheiratung führen.
…“Ehren“-Mord oder „Femizid“?
Hat ein Mädchen oder eine Frau durch ihr Verhalten nach Ansicht ihrer Familie/Community „Schande“ über sie gebracht, wird die Familie alles tun, um die sog. Familienehre wieder herzustellen. In einigen Fällen sehen sie die einzige Möglichkeit dafür in der Ermordung (Mord im Namen der Ehre = „Ehren“-Mord) der für den Ehrverlust verantwortlichen Person. Die Opfer sind zumeist Frauen, die gegen die patriarchalen Verhaltenscodes ihrer Community verstoßen, aber auch Männer können betroffen sein, z.B. wenn sie ihre Homosexualität leben möchten.
Die Unterscheidung zwischen „Ehrenmord“ und „Femizid“ ist wichtig, weil die Tötung beim „Ehrenmord“ im Auftrag der eigenen Familie/community erfolgt, um die vermeintliche Ehre wieder herzustellen.
„Verwandtschaftsbasierte Gewalt“ – die bessere Bezeichnung?
Der Begriff „Gewalt im Namen der Ehre“ wird immer öfter durch „verwandtschaftsbasierte Gewalt“ ersetzt und zwar mit der Begründung, damit Stigmatisierungen bestimmter sozialer Gruppen zu vermeiden.
Wir von TDFÖ befinden jedoch, dass sämtliche Motive und Hintergründe für geschlechtsbezogene Gewaltformen benannt werden müssen und nicht verschleiert. Mit diesem Wissen kann und muss – abseits von populistischer Instrumentalisierung – dem Problem gezielt begegnet werden.
Auch für Emina Saric, Expertin für das Thema und Projektleiterin beim steiermärkischen Projekt HEROES – Gegen Gewalt im Namen der Ehre (LINK) ist der Begriff präziser, weil er die kulturellen und sozialen Hintergründe von Unterdrückungsformen zum „Erhalt der Familienehre“ verdeutlicht.

Kadriye Demirel wurde Opfer eines „Ehren“-Mordes in der Türkei, weil sie nach einer Vergewaltigung schwanger wurde.
Rechtliche Grundlagen für die Strafverfolgung von Zwangsverheiratung
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Zwangsverheiratung ist nach Artikel 16 Absatz 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 eine Menschenrechtsverletzung.
„Die Ehe darf nur auf Grund der freien und vollen Willenseinigung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden.“
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Kultur, Bräuche, Religion, Tradition und die sog „Ehre“ nicht als Rechtfertigung für Gewalt angesehen werden.
(Art. 12 Istanbul-Konvention des Europarates, von Österreich ratifiziert)
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RECHTSTEXT – WEITERLESEN …
(1) Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen Maßnahmen, um Veränderungen von sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Frauen und Männern mit dem Ziel zu bewirken, Vorurteile, Bräuche, Traditionen und alle sonstigen Vorgangsweisen, die auf der Vorstellung der Unterlegenheit der Frau oder auf Rollenzuweisungen für Frauen und Männer beruhen, zu beseitigen.
(5) Die Vertragsparteien stellen sicher, dass Kultur, Bräuche, Religion, Tradition oder die sogenannte „Ehre“ nicht als Rechtfertigung für in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallende Gewalttaten angesehen werden.“
Aus: Artikel 12 der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Mädchen und Frauen
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Aufforderung der EU an alle Mitgliedsstaaten,
Zwangsverheiratung zu bestrafen
EU-RICHTLINIE Nr. 2024/1385 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 14. Mai 2024 zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt
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RECHTSTEXT – WEITERLESEN …
Begründung:
Bei einer Zwangsheirat handelt sich um eine Form der Gewalt, die zu schwerwiegenden Verletzungen der Grundrechte und insbesondere des Rechts von Frauen und Mädchen auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Autonomie, körperliche und psychische Gesundheit, sexuelle und reproduktive Gesundheit, Bildung und ein Privatleben führt. Armut, Arbeitslosigkeit, Bräuche oder Konflikte sind Faktoren, die einer Zwangsheirat Vorschub leisten. Körperliche und sexuelle Gewalt sowie die Androhung von Gewalt sind häufig angewandte Formen der Nötigung, um eine Frau oder ein Mädchen zur Eheschließung zu zwingen. Häufig gehen Formen der physischen und psychischen Ausbeutung und Gewalt, wie etwa sexuelle Ausbeutung, mit der Zwangsheirat einher. Es ist daher notwendig, dass alle Mitgliedstaaten Zwangsheirat unter Strafe stellen und die Täter mit angemessenen Strafen belegen. Diese Richtlinie lässt die im nationalen oder internationalen Recht enthaltenen Definitionen „der Ehe“ unberührt. Die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um eine Verjährungsfrist vorzusehen, die Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen, Gerichtsverfahren und gerichtliche Entscheidungen in Bezug auf Zwangsheirat ermöglicht. Da es sich bei den Opfern von Zwangsheirat häufig um Minderjährige handelt, sollten die Verjährungsfristen für einen Zeitraum gelten, der der Schwere der betreffenden Straftat entspricht und ausreicht, um eine wirksame Einleitung des Verfahrens nach Erreichen des 18. Lebensjahres des Opfers zu ermöglichen
Artikel 4 Zwangsheirat
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die nachstehenden vorsätzlichen Handlungen unter Strafe gestellt werden: a) wenn ein Erwachsener oder ein Kind gezwungen wird, eine Ehe zu schließen; b) wenn ein Erwachsener oder ein Kind durch Täuschung in das Hoheitsgebiet eines anderen Landes als desjenigen, in dem er oder es seinen Wohnsitz hat, mit der Absicht gelockt wird, diesen Erwachsenen oder dieses Kind zu einer Eheschließung zu zwingen.
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In Österreich ist Zwangsheirat seit 01.01.2016 als eigener Straftatbestand (§ 106a, StGB) festgelegt.
Es handelt sich dabei um ein Offizialdelikt, d. h., die Staatsanwaltschaft muss die strafbare Handlung verfolgen und kann von jeder Person angezeigt werden, die Kenntnis darüber erhält.
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RECHTSTEXT – WEITERLESEN …
§106a. (1) Wer eine Person mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung oder Drohung mit dem Abbruch oder Entzug der familiären Kontakte zur Eheschließung oder zur Begründung einer eingetragenen Partnerschaft nötigt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“
(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer eine Person in der Absicht, dass sie in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, zur Eheschließung oder zur Begründung einer eingetragenen Partnerschaft gezwungen werde (Abs. 1), durch Täuschung über dieses Vorhaben verleitet oder mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung oder Drohung mit dem Abbruch oder Entzug der familiären Kontakte nötigt, sich in einen anderen Staat zu begeben, oder sie mit Gewalt oder unter Ausnützung ihres Irrtums über dieses Vorhaben in einen anderen Staat befördert.
Informationen zur Situation und zu Aktionen von TdF Deutschland finden Sie HIER
TdF Österreich
Gewalt im Namen der Ehre ist eine Menschenrechtsverletzung (UN-Resolution 55/66) und kommt auch in Österreich vor
Ein Forschungsbericht im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds aus dem Jahr 2023 geht von ca. 200 Fällen pro Jahr aus (LINK).
KURIER vom 26.04.2023
Wir informieren über die Hintergründe,
wir sensibilisieren Behörden und Fachpersonen,
wir setzen uns für Gesetzesänderungen zum Schutz Betroffener ein und
wir kooperieren mit Vereinen, die in der Sensibilisierungs- und Präventionsarbeit gegen Gewalt im Namen der Ehre tätig sind, z.B. dem steiermärkischen Projekt HEROES – Gegen Unterdrückung im Namen der Ehre (LINK)
Buchtipps und weitere Hinweise auf aktuelle Studien zum Thema Gewalt im Namen der Ehre und Zwangsheirat finden Sie HIER
TERRE DES FEMMES FORDERT:

- Die Anhebung des Mindestalters für Eheschließungen auf 18 unddas Verbot der Cousinenehe
- Sicherung und den Ausbau der bestehenden Beratungsangebote und Schutzeinrichtungen / Notunterkünfte in den Bundesländern, um eine unkomplizierte und rasche Hilfe der Betroffenen zu ermöglichen.
- mehr Sensibilisierungs- und Präventionsprojekte in Schulen (z.B. Ausrollung des steiermärkischen Projektes HEROES – gegen Gewalt im Namen der Ehre auf andere Bundesländer)
- Niederschwellige Anlaufstellen für Familienmitglieder / Eltern zur Prävention von Gewalt im Namen der Ehre.
- Beratung / Fortbildung der Behörden (u.a. Einwanderungsbehörden, Polizei, Gerichtsbarkeit, Bildungsdirektionen) und des Personals im pädagogischen, sozialen und medizinischen Bereich (Verankerung in der Ausbildung) u.a. für eine bessere Frühidentifizierung von möglichen Opfern

- Verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Behörden, insbes. Kinder- und Jugendhilfe und Bildungseinrichtungen (ausreichende personelle Ausstattung, fixe Ansprechpersonen für die Thematik in jedem Bundesland)
- Ausbau der Schulsozialarbeit und Verankerung des Themas in deren Aus- und Fortbildung
- Kontinuierliche Datenerhebung und –bereitstellung, sowie Beforschung der Problematik
- einen offenen Diskurs und profunde Berichterstattung über diese Form von geschlechtsspezifischer Gewalt
- Weiterentwicklung gezielter Integrationsmaßnahmen