BSA Informationsveranstaltung von TDF Österreich: “Frauenkörper sind keine Ware – Der Weg zum Nordischen Modell”
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„Es geht immer um Schmerzen und Entwürdigung“
Informationsabend zum Thema Prostitution und Menschenhandel im BSA am 13.10.2022
Liane Bissinger weiß, wovon sie spricht. Die Gynäkologin (i. R.) arbeitete mehrere Jahren mit Prostituierten in Hamburg, wo sie auch im Streetwork tätig war und engagiert sich nun bei KOFRA München im AK Stop Sexkauf; derzeit betreut sie auch noch Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen. Sie schildert anschaulich die körperlichen und seelischen Verletzungen, mit denen Frauen bei ihr auftauchten. Sie zitiert grauenvolle Sätze von den Websites der Freier, aus denen klar wird, wie wenig ihnen die Frauen wert sind. „Ich habe dafür bezahlt. Aus basta!“ Ein Freibrief, um zu tun, wonach dem Mann grade so ist. Und die sexuellen Praktiken seien härter und brutaler geworden. Den Frauen die Luft abdrücken, stehe derzeit ganz oben auf dem Ranking.
Neben Liane Bissinger sitzt Manfred Paulus, pensionierte Kriminalhauptkommissar aus Bayern. Er war fast 30 Jahre als leitender Kriminalist auf das Rotlicht spezialisiert. Auch nach dem aktiven Dienst ist er in Sachen Schutz für Prostituierte in vielen Ländern unterwegs, um aufzuklären. „Etwa 95 Prozent aller Frauen in der Prostitution kommen aus dem Ausland; aus Rumänien, Bulgarien, Moldau, aus Thailand und China. Viele von ihnen sind in den Händen von skrupellosen und brutalen Menschenhändlern, die super an ihnen verdienen.“ Möglich sei diese organisierte Kriminalität nur, weil die deutschen, Schweizer und österreichischen Gesetze „nicht zu lasch seien, sondern meines Erachtens viel zu wenig die Realität berücksichtigten“, so Paulus in seinem Vortrag.
Was die von Menschenhandel, Versklavung und Abhängigkeit Betroffenen betrifft, wir haben anhaltend ein gigantisches Dunkelfeld. Verurteilungen sind an einer Hand abzuzählen. Ein Missstand, den zuerst Schweden erkannte und bereits 1999 das sogenannte „Nordische Modell“ einführte: belangt werden sollen nicht die Frauen, sondern die Freier. Ganz ausgelöscht wurde die Prostitution nicht, aber sie sei viel weniger geworden. Die Täter agieren bevorzugt da, wo wenig Risiko herrscht. Sie gingen lieber in Länder, wo sie das Gesetz besser schützt. Also in den deutschsprachigen Raum. Das müsse sich rasch ändern.
Im Publikum sitzen ca. 80 Personen, die aufmerksam und zum Teil auch ungläubig zuhören. Wenn man all das wisse, warum würden die Täter nicht rechtlich verfolgt? Antwort Manfred Paulus: die Frauen seien oft zu sehr eingeschüchtert durch Gewalt und sie seien völlig abhängig von ihren Zuhältern. Sie hätten keine Papiere, kein Geld, nichts. Wer erstattet unter solchen Umständen schon Anzeige und sage gegen die Täter aus?
Die Frauen werden ausgebeutet, solange es geht und wenn sie für das Gewerbe nichts mehr taugten, einfach „weggeworfen”.
Noch eine Frage aus dem Publikum ist interessant: „Aber es gibt doch auch Frauen, die das freiwillig machen und es als ihre Arbeit sehen. Müsse das nicht auch berücksichtigt werden?“
Antwort Bissinger: „Diese Art von Tätigkeit ist nur erträglich, wenn man das Erlebte abspaltet. Gesund sei das nicht und auf Dauer schädlich für Körper und Seele. Wenn Sie genau und aufmerksam hinsehen und hinhören, merken Sie schnell, dass es mit der Freiwilligkeit nicht weither ist.“ Und das gelte auch für die Selbstbestimmtheit, die immer wieder ins Treffen gegen das Nordische Modell geführt werde. Die Mehrheit der Personen im Prostitutionsgewerbe sei nicht selbst – sondern fremdbestimmt.
„Das System der Prostitution ist frauen- und menschenverachtend, auf Ausbeutung und Grausamkeit aufgebaut und es geht vor allem um Machtausübung der Männer über die Frauen und um maximalen Profit. Nur die Abschaffung dieses Systems kann die Lösung sein!“, ist Bissinger überzeugt.
Brigitte Handlos, ORF, Wien
13.10.2022
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Fotos von unserer BSA Informationsveranstaltung