“Der Club der woken Islam-Verharmloser*innen”

“Die Anteilnahme aus der deutschen Politik war groß, nachdem Mahsa Amini von iranischen Sittenwächtern ermordet wurde. Dabei kam sie oftmals exakt aus jenen Reihen, welche die Frauenfeindlichkeit des konservativen Islams jahrelang verharmlost haben. Da SPD und Grüne lieber Islamophobie anstatt die Unterdrückung muslimischer Frauen bekämpfen möchten, stehen sie nicht an der Seite der freiheitsliebenden Iranerinnen, schreibt unsere Gastautorin Necla Kelek.”

Artikel von Dr. Necla Kelek,
erschienen am 10.10.2022 in Cicero unter o.a. Headline

Seit dem gewaltsamen Tod von Masha Amini in Teheran hat das islamische Kopftuch für die grünen Politikerinnen Annalena Baerbok, Lamya Kaddor und die Sozialdemokratin Gabriela Heinrich mit dem Islam nichts mehr zu tun.

Verstehe einer die Politik der Grünen und der Sozialdemokraten in Sachen Islam, Kopftuch und Iran. Sie ist – mit Ausnahme der aktuellen Minderheitsmeinung von Cem Özdemir und den Säkularen in beiden Parteien – widersprüchlich, ideologisch und opportunistisch. Auf alle Fälle nicht feministisch. Leider müssen wir uns mit ihr auseinandersetzen, denn sie schafft, weil ihre Vertreterinnen inzwischen in Regierungen, Parlamenten, Behörden, Universitäten, Stiftungen das Sagen haben, Fakten. Zum Nachteil, vor allem der Freiheit von Frauen und Mädchen mit muslimischem Hintergrund. Auch wenn sie vorgeben, das Gegenteil zu wollen, sind Grüne und SPD in ihrer Mehrheit für die Akzeptanz des politischen Islam und der zunehmenden Verbreitung des islamischen Kopftuchs verantwortlich. In Hamburg zum Beispiel kämpft die von der Sozialbehörde des rot-grünen Senats mit € 180.000 im Jahr geförderte Antidiskriminierungsstelle AMIRA „für den Tag, an dem kein muslimisches Mädchen sich mehr schämen muss, mit dem Kopftuch zur Schule zu gehen“. 1
Seit über zwanzig Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Islam in der Migrationsgesellschaft. Eines der Dauerthemen ist die Debatte um das islamische Kopftuch, seine religiöse Begründung und Bedeutung für das Geschlechterverhältnis, seine fatale Wirkung auf Fragen der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Ich bin dabei zu dem Schluss gekommen, dass ohne das Kopftuch und das Familienrecht der Scharia, der reaktionäre Islam seine Herrschaft sowohl im Privaten wie im Staat verlieren wird.
Und immer sind es nicht nur die erz-konservativen Religionsfunktionäre der Islamverbände, sondern vor allem die sich als säkular und aufgeklärt gebenden Sozialdemokraten und Grüne, die das Patriarchat für Vielfalt und das Kopftuch als Zeichen von kultureller Selbstbestimmung und Religionsfreiheit loben und Kritik daran für Islamophobie oder seit neuestem „antimuslimischen Rassismus“ halten, den sie mit viel Geld zu bekämpfen trachten. Kritik an solchen Positionen wird innerparteilich in beiden Parteien geübt, dringt aber bisher nicht durch.

Seit einigen Tagen geht die Bevölkerung im Iran, Männer wie Frauen, angeführt von Frauen unter der Parole „Frauen. Leben. Freiheit.“ in allen Städten auf die Straße. Auslöser war, der durch Religionswächter verursachte, gewaltsame Tod von Masha Amini, einer jungen Frau, die ihr Kopftuch nicht nach den Vorgaben der Scharia-Gesetze getragen haben soll.
Plötzlich twittert die grüne Kulturbeauftragte der Regierung Claudia Roth ihre Solidarität mit „diesen mutigen und Freiheit liebenden Menschen.“ Dieselbe Claudia Roth, die sich bei einem Besuch in Teheran den Schleier überwarf und damit ihren Respekt vor dem Mullah-Regime bezeugte. Dieser Kopftuch-Kotau, war – von ihr als Zeichen der Dialogbereitschaft verteidigt – nichts anderes als eine nonverbale Botschaft an die iranischen Frauen.
Aber die Verschleierung der Realität ist damit noch nicht am Ende. Während bei uns das Kopftuch von den Kulturrelativisten als Zeichen der Religionsfreiheit geschützt werden soll, hat der Kopftuchzwang im Iran für die grüne Außenministerin Annalena Baerbock mit dem Islam nichts zu tun. In der aktuellen Stunde im Bundestag zum Fall Masha Amini erklärte sie: „Wenn die Polizei, wie es scheint, eine Frau zu Tode prügelt, weil sie aus Sicht der Sittenwärter ihr Kopftuch nicht richtig trägt, dann hat das nichts, aber auch gar nichts mit Religion oder Kultur zu tun. Dann ist das schlicht ein entsetzliches Verbrechen.“ Und einige Sätze weiter: „Das ist deutsche wertegeleitete, feministische Außenpolitik.“ 2 Das ist schlicht absurd. Aber kein Einzelfall. Auch die neue grüne Abgeordnete Lamya Kaddor, die offenbar als islamkundige Beraterin der Grünen fungiert, meint in derselben Debatte allen Ernstes: „Und so geht es den Demonstranten und Demonstrantinnen eben nicht primär um den Kopftuchzwang im Iran, wie manche hier behaupten. Die Proteste wenden sich vielmehr gegen eine brutale Herrschaft, die zudem das Land isoliert und es durch Korruption und Kriege heruntergewirtschaftet hat.“ Die Religionslehrerin mit islamischer Lehrbefugnis, Lamya Kaddor schafft es, in ihrer gesamten Rede nicht einmal über den Islam oder Religion zu sprechen. Sonst ist sie schnell dabei, jeden Fakt als antimuslimische Vorurteil zu outen. Ich vermute, das war ehrlich, denn sie versteht offenbar von dem Thema nichts.
Der Islam hat laut Baerbock und Kaddor mit dem Kopftuch nichts zu tun. Auch Gabriela Heinrich, MdB der SPD, sagt, es gehe bei dem Konflikt „nicht um Religion“. „Hier geht es um Kontrolle über die Körper, die Selbstbestimmung und die Freiheit von Frauen.“ Der Islam hat auch für sie mit der Unterdrückung der Frauen im Islam nichts zu tun. Es ist absurd, offensichtlich ist diesen Politikerinnen entgangen, dass der Iran eine islamische Republik ist, in der die Scharia gilt.
Zur Erinnerung. Mit der Islamischen Revolution von 1978/79 und der Installation eines Gottesstaates durch Ayatollah Khomeini wurde ein Familienrecht eingeführt, das auf den Vorgaben des islamischen Rechts beruht. Damit einhergehend gab es einschneidende Veränderungen, die vor allem die Rechte von Frauen und Kindern betreffen: Das Recht auf Scheidung und das Sorgerecht geschiedener Frauen für die Kinder wurden eingeschränkt, das Mindestalter für die Verheiratung von Mädchen wurde zunächst auf dreizehn, dann auf neun Jahre herabgesetzt, Polygamie wurde legal, allerdings nur für den männlichen Teil der Gesellschaft (auch bekannt als Polygynie). Das Zeugnis einer Frau vor Gericht ist seitdem nur halb so viel wert wie das eines Mannes, gleiches gilt für die finanzielle Entschädigung im Falle eines Unfalls mit tödlichem Ausgang: die Hinterbliebenen einer Frau erhalten als Entschädigung nur die Hälfte dessen, was sie für ein verstorbenes männliches Familienmitglied bekommen würden. Nach der Machtübernahme machte Ayatollah Khomeini am 8. März 1979, dem Internationalen Frauentag, die Verhüllung der Frauen unter dem Tschador zum Gesetz. Die Scharia wird in der islamischen Theologie als vollkommene Ordnung Gottes verstanden, die Frieden und Gerechtigkeit schafft. Die Scharia ist die Gesamtheit des islamischen Gesetzes, wie es im Koran, in der islamischen Überlieferung und in den Auslegungen maßgeblicher Theologen und Juristen vor allem der frühislamischen Zeit niedergelegt wurde. Das Ehe- und Familienrecht gilt als Kern der islamischen Gesetze, der Scharia, und ist mit wenigen Ausnahmen heute in allen islamischen Ländern eine wesentliche, teilweise auch einzige Grundlage des Personenstandsrechts und damit der Rechtsprechung in Zivilprozessen.

Von der Blauen Moschee in Hamburg aus sind vor 44 Jahren im Schutze unserer freiheitlichen Gesellschaft unter der Führung des damaligen Direktors der Moschee, dem später 2. Mann des Mullah-Regimes, Mohammed Hossein Beheshti, die Pläne für die Umsetzung der frauenfeindlichen Gesetze der Scharia im Iran geplant worden.
Mohammad Chatami, der von 1997 bis 2005 im Iran regiert hat, und für Folter und Unterdrückung verantwortlich, war ab 1978 Direktor der Blauen Moschee.
Der jetzige Leiter dieses “Instruments der Islamischen Staatsführung”, Ayatollah Mofateh, erstellt Fatwas, religiöse Gutachten, in denen er seiner Gemeinde z.B. das Kopftuch bei Kindern als religiös verpflichtend vorschreibt.i Obwohl unter Beobachtung des Verfassungsschutzes arbeitet, der Hamburger Senat mit dieser demokratie- und frauenfeindlichen Organisation im Rahmen eines Staatsvertrages zusammen und lässt deren Einfluss auf die Schulpolitik zu.
Die Leugnung dieses Zusammenhangs ist beschämend und ein Schlag nicht nur gegen die Frauen im Iran, sondern jeden aufgeklärten Menschen. Aber es macht auch klar, dass sich die Frauen im Iran wie die freiheitliebenden Frauen hier, weder auf die Grünen noch auf die SPD verlassen können, sondern nur auf sich selbst. Noch nicht!!

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1 Aussage einer Mitarbeiterin von amira auf der Fachtagung des Hamburger Senats zu den Staatsverträgen mit den Islamverbänden
2 Alle Zitate im Bundestagsprotokoll der aktuellen Stunde vom 29.9.22 nachzulesen
i https://izhamburg.com/blog/2020/01/20/stellungnahme-zur-debatte-um-ein-kopftuchverbot-
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Beitragsbild von Shima Abedinzade